Das soufflierte Bild

Manfred Papst,Wiesbaden







»Eine Arbeit für den Künstler ist es,

schon bestehende Kommunikationscodes zu zerlegen und

einige dieser Elemente zu neuen Strukturen zusammenzusetzen,

die dann zur Erzeugung neuer Bilder von unserer

Welt benutzt werden können.«

(Victor Burgin)



»Der Text ist der Gegenstand, der es erlauben wird,

eine geschichtete Geschichte zu lesen, mit ununterbrochener

Temporalität,die sich nicht

auf einen einzigen Sinn zurückführen läßt...«

(J.Kristeva)



     Intention der folgenden Ausführungen ist es, die Malerei Jean-Claude Wiedls als »semiologisches Phänomen« zu analysieren: dahinter steht die Einsicht, daß der signifikante Sinn seiner Bilder nur das Resultat der »Fabrik« des Bild(textes) – der Arbeit und der Struktur, der Herstellung und der Methode – ist, und daß dieses (schillernde) optische Bildgewebe mit dem einer Schrift bzw. eines Textes vergleichbar ist, weil es einen Raum der Einschreibung des Spiels von Signifikanten kennzeichnet, d. h. einen Abdruckraum vielfältiger Bedeutungswirkungen und ineinander verwobener Intensitäten (polyvoke Kombinationen).

     Im Rahmen dieser Betrachtungsweise zeigt. J.C´s Arbeit eine erstaunliche Affinität zur Konzeption der künstlerischen Produktivität bzw. »signifikanten Praxis«, wie sie paradig-matisch im Umkreis der Gruppe Tel Quel (R. Barthes, J. Derrida, Ph. Sollers und vor allem
J. Kristeva) entwickelt wurde: deren materialistische Texttheorie (und Romanpraxis) versteht einen »Text« als ein »Transformationsprodukt«, das selbst transformierend wirkt.


     Unter »signifikanter Praxis« versteht die Gruppe ein Instrument, das für alle Modalitäten der Herstellung von Bedeutung generalisierbar ist - egal ob es sich dabei um literarische Texte, philosophische Texte, Traumtexte oder visuelle Texte handelt. Dies hat mich dazu motiviert, J. C.´s Bilder am Leitfaden solcher theoretischen Positionen zu interpretieren, um – wie ich hoffe – plausibel machen zu können, wo das spezifisch Neue seiner Methode und seines Sujets sich situieren läßt und welche rezeptionsästhetische Wirkung darin impliziert sein könnte.
     Das Vermögen, diese Impulse einzusammeln, bemißt sich nicht zuletzt daran, das Lesen seiner Bild(texte) so zu inszenieren, daß dadurch ihr Organisationszentrum ins Blickfeld rückt, bedeutet also das Erfassen der »Partitur« des Textes.


     Jean-Claudes Methode der Bildherstellung zeigt struktive Ähnlichkeit mit der Tätigkeit eines Bastlers (wie sie C. Levi-Strauss in Bezug auf die intellektuelle und mythopoetische Tätigkeit beschreiben hat): Daher erscheint es sinnvoll, auf J. C.´s Methode kursorisch einzugehen, um von dort aus die Evidenz seiner polyvalenten Bildlogik präziser bestimmen zu können. Zugrundegelegt werden hier die seit Sommer 1975 entstandenen Bilder, in denen er verschiedene Operationen, innere Bezugs-konstellationen - Formen - und verschiedene Codes auf kohärente Weise organisiert hat. Die zentrale Operation dieser Malerei besteht darin, bestimmte Vorlagen (wie z. B. Gemälde vergange-ner Stilepochen, Fotos, Filmsequenzen) durch Über- und Ineinanderschichtung in Form von Mehrfach-projizierungen, Mehrfachbelichtungen simultan zu aktualisieren - und zwar unabhängig von ihrer originären Bedeutung.


     Die selegierten Vorlagen fungieren als »Generatoren«, die dann mit Hilfe von Verschiebungen,Neukuppelungen, Reorganisation zur neuen Einheit eines Bild(textes) transformiert werden (travail transformateur). Dieses Verfahren ist analog dem der »Intertextualität«, wie es J. Kristeva in bezug auf die Produktion von literarischen Texten beschrieben hat: »Intertextualität« im Sinne einer Dekonstruktion vorgegebener Texte – durch Kombination diskontinuierlicher und heterogener Textelemente, anagrammatischer und spatialer Schreibweisen – deren Resultat eine neue Signifikanz mit vielfältigen Sinn-beziehungen darstellt.

     Bei Jean Claude ist das Transformationsprodukt (auf der Basis dekonstruierter Bildvorlagen) eine neue Bildsignifikanz, die durch ein visuelles Gewebe gekenn-zeichnet wird, in welchem es nur noch »Spuren« (differentielle Signifikanten) innerhalb eines Verweisungszusammenhangs gibt: So ist das Bild das Volumen sich neu entfaltender reiner Intensitäten, bei deren Über-schneidung, Zerstreuung und Verschiebung sich der vieldeutige deterriorialisierte Sinn des Bildes konstituiert: Polysemie des Bildes in dem Sinne, daß durch die »Zerstreuung in die Variation« neue Sinndimensionen ausgearbeitet werden.

     In bezug auf die Romanpraxis wurde von einer »desakraisierten, rein rhythmischen Kombinatorik« gesprochen – die plötzliche schillernde Neuverteilung in J.C.´s Bildern steht dazu in geistiger Ambiente. (Ebenso wurde der Traum mit einer Schrift piktografisch-hieroglyphischen Charakters verglichen; Mehrdeutigkeit und Simultaneität heterogener Elemente sind konstitutiv für den Traumtext).


     Da jedes Bild bei Jean Claude Absorption und Transformation einer Vielzahl von anderen Bildern bzw. Bildeinheiten ist, und sich der Sinn nur als das Resultat der Fabrik des Bildes begreifen läßt, kann er strukturelle Konfigurationen ins Spiel bringen, die den ursprünglichen Bedeutungscodes »etwas hinzufügen«, die keiner jener Codes genuin vorausgesehen hatte. Zugleich ist auch das Bild von verschie-denen Codes getragen. Sowohl der hermeneutische Code, der jene Ebene betrifft, die die Spannungskurve des Bildes ausmacht, als auch der »kulturelle« Code, der den Rückgriff auf den Horizont des allgemeinen Wissens betrifft; ferner der Code der konnotativen Momente (Feier, Gemetzel, Depression), sind repräsen-tiert. Diesen Aspekt des Hinzufügens bezeichnet den Modifikations- oder Arbeitskoeffizien-ten, der die Polyvalenz des Bildes des Bild(textes) konstituiert und die Neuorganisation des künstlerischen Ausdrucksfeldes in Form eines »tabulatorischen« Modells ineinander ver-wobener sinngenerierender Zeichen markiert.


     Vor diesem Hintergrund wird es auch plausibel, warum diese Bilder als »soufflierte« zu verstehen sind: »souffliert« im Sinne einer »Vielfalt sich überlagernder Stimmen«; auch »souffliert« im Sinne eines Anhauchens oder einer Ausatmung, die eine vorgegebene Bedeutung auslöscht oder die Formen ihres Auftauchens systematisch zerstreut. Analog dazu zeigen sich seine Bild(texte) auf elliptische Weise in solche Einflüsterungen, Fluktuationen verwickelt: ein und dieselbe »Stimme« erweist sich als von mehreren Stimmen getragen bzw. repräsentiert ein Spiel mit mehreren Bezugsrahmen (»Intertextualität«).


     Dabei handelt es sich aber nicht – und das markiert die entscheidende Differenz – um bloße »Einflüsse« oder Zitate, die sich quasi zwanghaft in die Bilder einschleichen, sondern um spielerisch inszenierte »Fluktuationen«, die sich als Spuren innerhalb eines differentiellen und relationalen Netzes in Beziehung zu anderen setzen: sich so in diese hineinschieben (soufflieren). Die Verdichtungsarbeit der Bilder – die »Verschmelzung mehrerer thematisch festgelegter Kompositionen« (Ulrich Gertz) – und die Verschiebungen innerhalb des künstlerischen Ausdrucksfeldes Metonymie) – die das traditionell Vorgegebene durch neue Intensitäten substituieren – generieren einen möglichen Sinn einzig durch das Verweis-Spiel der Signifikanten (ihrer Intervalle). Daher ist es auch unmöglich, irgendeinem Bild einen Sinn zuzuordnen, der ihm direkt entsprechen würde.


     Der Sinn gehört zur Oberflächenkonfiguration, d. h. dem in den Raum der Äußerlichkeit geschriebenen Raster, das die differentielle Beziehung der Bildsignifi-kanten regelt. (Ähnlich wie das Schachspiel, das eine Kombinatorik von Orten bildet, die unendlich viel tiefer ist als die symboliche Ausdehnung jeder Figur). Damit verzichtet J. C. sowohl auf ein Zentrum, eine privilegierte Referenz, als auch auf eine »monochrome« Bildkonzeption: dagegen intendiert er eine »Polyvalenz« der Bild-logik mit artistischen Verzweigungsstrukturen und vielfältigen Intensitäten. Seine Bilder verweisen immer auf einen »Mehrwert« an Sinn, eine Über-determinierung, einen Sinn der immer im Übermaß hervorgebracht wird; und daß die Bilder buchstäblich, d. h. in ihrem Signifikantenwert zu nehmen sind, heißt, daß jegliche originäre semantische Verankerung überbordet wird, jeder Idealismus eines »vor seiner Artikulation bestehenden Sinnes«: so kann der Bild(text) als ein »triumphierender Plural«, als eine »Milchstraße von Signifikanten« betrachtet werden.


     J.C. Bilder stellen eine »Doppelung von Rezipieren und Produzieren« dar und implizieren dadurch eine Infragestellung idealistischer Rezeptionsweisen. Das bedarf der Erklärung: In bezug auf den Funktionsmechanismus der künstlerischen Sprache bei J. C. - ich habe diesen in Anlehnung an J. Kristeva als »Intertextualität« bezeichnet werden die Bildfakten im Rahmen eines »paragrammatischen« Netzes realisiert. So legt der Terminus »Netz« nahe, »daß jede (...) Sequenz in einer mehr-schichtigen Beziehung eingewoben« ist und »jedes Element als »dynamisches« Kennzeichen fungiert«, das eher ein Bedeutung herstellt als ausdrückt (Paragramm). Dadurch kann eine eigentümliche Doppelung von Produzieren und Rezipieren erzielt werden: Wenn der Künstler in einer Welt schon bestehender Bild(texte) lebt, wird aus dem Akt des künstlerischen Arrange-ments ein Akt des Lesens.


     Gemäß dieser Vorstellung entwickeln sich die Bilder nicht in einem Vakuum, sondern vielmehr im Kontext von anderen Bildern. Das bildnerische Schaffen ist ein Dialog zwischen den vom Schaffenden gesehenen und als Reaktion darauf gemalten Bildern: Malen wird zu einem Bild-Lesen im Sinne von »zusammen- und auflesen« als einer aktiven Aneignung anderer Bilder. So wird auch die Vorstellung einer linearen Aneignungsweise durch die Idee der Diskontinuität, der Brüche und Verschiebungen ersetzt. Und in dieser Perspektive intendiert er – seine Arbeiten zeigen die Fruchtbarkeit eines solchen Versuchs – eine »Doppelung des Bildes« in Form einer dekonstruierenden Bildlogik; wobei jede Bildeinheit schlußendlich den Charakter einer »signifikanten Differentiellen« annimmt: denn jeder Blick schneidet in ein Gewebe, das immer noch weiter auflösbar ist, und jeder Bildsignifikant ist ein Moment, das durch nichts hervorgebracht wird, was sich außerhalb der Markierung befände, die es konstituiert.


     Und schließlich kann das mögliche rezeptionsästhetische Ziel der Bildkompositionen
von J.C. formuliert werden: Aufzeigen des in der Strukturation als eines aktiven und dynami-schen Vorgangs Möglichen; Reflexion der Bedingungen einer dekonstruierenden Sinnkonstitution; ästhetische Distanz durch Polyvalenz und Infragestellung idealistischer Rezeptionsweisen durch »Auslöschen des (traditionellen) Sehens in der Produktion der Signifikanten«.



Postscriptum:


J.C. hat in seinen letzten Produktionen, die einen erotischen Bild-zyklus eingeleitet haben, das Prinzip der »Intertextualität« kon-sequent weiterentwickelt: dabei wird die idealistische Auffassung des Körpers als Bild, als Identität und Besitz dekonstruiert. Der Körper als ab-gegrenzte Entität verschwindet unter einer aktiven Szenerie die einzig durch das differen-tielle Spiel der Organe produziert wird. »(....) den Körper wörtlich nehmen (...) heißt, das Buchstabieren der Orthografie seines Namens erlernen, der aus erogenen Zonen zu-sammengesetzt ist, die ihn (d.e. den Körper) konstituieren» (Boger, Le désir à la lettre, 148).

     Und so wird in diesen letzten erotischen Bildern angezeigt, daß die Lust (bzw. die Spur der Lusterfahrung und des Wunsches) von einem Effekt des Bruchs verursacht wird, der überhaupt keinen Platz in der auf Kohärenz ausgerichteten organischen Ordnung findet. Und die Einschreibung dieses Bruchs repräsentiert sich in J.C.´s Bildern als Niederschrift von Buchstaben (Spuren der Lusterfahrung) auf einer Oberfläche, die durch ein Spiel von Differenzen das Grundmuster wieder sichtbar werden läßt, das die eigentliche Schrift ist: der unbewuße Corpus.



   

     P.S. Da das »Faktum der Lust« aus einem Spiel von Differenzen stammt, repräsentiert dieses Spiel der kleinen Unterschiede, bezogen auf die Erinnerung oder die Erwartung, ein unfaßbares Ganzes.

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